Die Dramaturgin – das „unbekannte“ Wesen?

Vorgestern bin ich gefragt worden, was eine Dramaturgin eigentlich so macht. Diese Frage wird mir oft gestellt und ich kann sie nicht in einem Satz beantworten.
Wer in Programmhefte schaut, findet diese geheimnisvolle Berufsbezeichnung im Schauspiel, in der Oper/ im Musiktheater, im Film. Was mit der Dramaturgie eines Schauspiels, einer Oper etc ist relativ leicht zu verstehen. Aber was macht der Mensch dahinter?
Am Stadttheater sind die Aufgaben klar definiert. Wer das vertiefen möchte, kann sich auf der Seite des Bühnenvereins das Berufsbild anschauen: https://berufe-am-theater.de/dramaturgin/

Ich habe das Glück, in den unterschiedlichsten Sparten zu arbeiten. Begonnen hat alles im Schauspiel mit der Produktion „Tanz über Gräbe(r)n“, ein Straßenbahnprojekt mit Liedern und Texten zum Ersten Weltkrieg in Mannheim. Eigentlich wollte ich schon während des Studiums Dramaturgin werden, aber das unstete Leben durch befristete Verträge hat mich nicht begeistert. Damals gab es noch eine kleine Freie Szene, ich wäre nicht auf die Idee gekommen, hier „anzuheuern“. Jetzt ist die Szene gewachsen und das Nischendasein einer Freien Dramaturgin hat eine andere Bass bekommen.

In meinen nächsten beiden Beiträgen nehme ich Euch mit in meinen Berufsalltag.

Teil 1: Frei?

Auf meiner Visitenkarte steht „Freie Dramaturgin“. Das allerdings heißt noch lange nicht, dass ich völlig frei in dem bin, was ich tun, was ich auf die Bühne bringen und mit anderen Menschen teilen möchte.
Am Anfang steht der Antrag, also der Versuch, eine Jury von der besten Idee für ein Projekt zu überzeugen. Eine Idee in ein Formular zu zwängen, in Zeichenzahlen, in Antragsprosa, ist eigentlich schon der Ideenkiller schlechthin, muss doch immer alles mit Zahlen und Fakten hinterlegt werden. An den Anträgen schreiben wir meistens gemeinsam, vier Augen sehen mehr als zwei und im Schreiben entwickelt sich auch vieles, was weitergedacht werden kann.
Die Freie Dramaturgin muss sich also erstmal ums Geld kümmern, um eine Idee überhaupt auf die Bühne zu bringen. Oder freut sich ganz besonders, wenn sie in Projekte von Kolleginnen und Kollegen eingeladen wird.

Ist das Geld dann da, kann man loslegen. Zwischendurch sind natürlich unzählige Ideen entstanden, Gespräche geführt, Spielmöglichkeiten gesammelt und vielleicht auch schon die ersten Requisiten reserviert worden.
Gibts weniger Geld als geplant, muss man reduzieren, leider oft auch an Gagen oder Personen, oder man trennt sich ganz von der Idee und gibt das Geld zurück.
Wird der Antrag abgelehnt, ist viel Vorarbeit umsonst gewesen, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes.

Teil 2: Von der Ideensammlung zur Inszenierung

Das Schöne in der Freien Szene ist, dass die Hierarchien flach sind und wir in den Produktionsteams gut zusammenarbeiten und uns vertrauen.
Die klassische Recherche zu Themen, Figuren und so vielem mehr steht bei meiner Arbeit im Zentrum. Das hat manchmal schon etwas „Eichhörnchenhaftes“, denn wenn ich einmal angefangen habe zu sammeln, kommt die Germanistin und Wissenschaftlerin in mir zum Vorschein, die allem auf den Grund gehen will.
In den Proben wird ebenfalls erst einmal gesammelt, probiert und dann auch mal wieder verworfen. „Wir probieren“ aus. Dabei habe ich die Rolle der „ersten Zuschauerin“, die einen Blick von „außen“ darauf wirft und auch mal kritisch ist oder hinterfragt. Spannend sind vor allem die Momente, wenn Szenen zusammengesetzt oder das ganze Stück zum ersten Mal ganz gespielt oder getanzt wird.
Gerade wenn wir nicht volle Fördersummen zur Verfügung gestellt bekommen, müssen wir improvisieren, Kostüme aus dem Fundus verwenden oder im Second Hand-Kaufhaus einkaufen. Das macht die Produktionen dann auch noch nachhaltig und verleiht ihnen einen ganz individuellen Charakter.
Spannend wird es, wenn das Licht dazukommt, denn dann steht die Premiere vor der Tür. Manchmal kommen dann noch Zweifel, ob es so klappt, wie geplant oder Sorge, nicht rechtzeitig fertig zu werden. Und auch da müssen wir oft nach dem Motto „Kill your Darlings“ handeln; auch wenn der Abend zu lang wird und durchzuhängen droht.
Wenn die Leute dann ins Theater zur Premiere kommen, kommt dieser Moment, den wir alle erwarten, auf den wir uns freuen und vor dem wir auch ein bisschen Angst haben. Und meistens ist das Schönste der Schlussapplaus 🙂

Kultur als Kraftquelle

Wie “reich” wir sind, weil es Kultur gibt! “Reich” meine ich natürlich nicht im monetären Sinn 🙂
Für mich ist Kultur eine Kraftquelle. Hier kann ich “auftanken” und neue Kraft für den gerade sehr herausfordernden Alltag schöpfen.
Letzte Woche war ich mit meinem Seminar zum Wissenschaftlichen Arbeiten im Marchivum, dem Mannheimer Stadtarchiv. Welche Schätze hier liegen! Viele davon sind digital zugänglich, die Suchfunktionen werden immer besser. Man kann in alten Zeitzungen Schlagwortsuchen machen, ganz bequem von zu Hause aus. Früher musste man mit Microfiche-Lesern mühsam jede Ausgabe durchforsten, ich erinnere mich noch an frustrierende Stocherkahn-Fahrten in der Unibibliothek….
Jetzt wird die Stadtgeschichte leicht zugänglich gemacht.
Sucht doch mal Eure Vorfahren in den Adressbüchern oder auch Zeitungen! Eine spannende Zeitreise!
Mein Favorit sind natürlich die Theaterzettel, die noch zu Beginn meiner Arbeit als Freie Dramaturgin vor elf Jahren nur als dicke Bücher im Lesesaal vor Ort verfügbar waren. Sie waren uns eine wichtige Quelle zu unserem Projekt “Tanz über Gräbe(r)n”, ein Theaterprojekt über die Zeit des Ersten Weltkriegs in Mannheim.

Zweite Station: Port25
In meinem Seminarplan „Die Mannheimer Kulturlandschaft“ ist Port25 inzwischen so etwas wie ein Jour Fixe geworden. Mit der Ausstellung „Staubfrei – analoge Fotografie“ haben wir wieder eine unglaublich spannende Ausstellung mit Führung via Kim Behm entdecken können.
Bei analoger Fotografie denke ich an die Fotoalben unserer Kindheit, heute grünstichig und verblasst, von den Polaroids nicht zu sprechen. Meine Großmutter hat meine Kindheit in Schwarz-Weiß dokumentiert, Bilder, die bis heute „gestochen scharf“ und unverändert sind. Die Farben ergänzt mein Kopf dann, Gerüche, Stimmen… sowieso.
Fotografie/ Photographie ist ein Moment im Bild festgehalten, so meine minimalistisch-laienhafte Definition. Menschen über 50plus blicken auf Erinnerungen vor allem in Papierform, mit einem Quantensprung wurde dann irgendwann das alte Nokia-Handy mit dem vermeintlich unendlichen Akku zum allwissenden und alleskönnenden Medium. Wer hatte schon „früher“ immer einen Fotoapparat/ Photoapparat dabei?
Die Ausstellung „Staubfrei“ ist ein genialer Einblick in das, was analoge Fotografie (ph?) mehr kann. Ein Bild aus dem Erinnerungsalbum abschmirgeln, den Staub in einem Weckglas bewahren… Was wird dann aus dem Bild, aus der Erinnerung? 
Diese Arbeit hat mich besonders beeindruckt:
„„dust to dust“ ist eine installative Arbeit, in der Frank Göldner den dokumentarischen Zweck der Fotografie gleichermaßen autobiografisch motiviert wie universell lesbar hinterfragt. Aufnahmen aus 16 Jahren, eine für jedes Jahr, hat er abgeschliffen und den Papierstaub gesammelt. Es stellt sich die Frage, was bleibt und wie archivierbar die bildgewordenen Erinnerungen eigentlich sind.“
https://www.port25-mannheim.de/ausstellungen
So fühlt es sich gerade an, wenn ich mit meiner Mutter die unmittelbare Gegenwart betrachte. Irgendwas fehlt immer, ist verfremdet, erscheint wie ein Traum…

Die Ausstellung „Mannheim Abstrakt“ im Mannheimer Kunstverein
Immer wieder ein Fest! Die Vernissagen, Finissagen, Veranstaltungen… im Mannheimer Kunstverein. Irgendwie bin ich immer eine der Letzten, die geht. Von der Ausstellung habe ich am Sonntag nicht sooo viel gesehen, weil es so viele Gespräche gab, weil wir so viel Kulturpolitik abseits des Gemeinderats (also für mich) doch diskutiert haben und ich mich irgendwie verantwortlich fühle und nichts bewirken kann. Das ist bitter.
Die Ausstellung muss ich noch einmal zu einem anderen Zeitpunkt besuchen. Ich habe viel zu wenig gesehen, aber auf den ersten Blick so viel, dass ein Besuch in Ruhe dringend notwenig ist 🙂
Aber manchmal ist „Networking“ (ich mag den Begriff so gar nicht) einfach wichtiger!

Mannheim ABSTRAKT

Wie müssen uns alle zusammentun, jenseits der Sparten, ohne Konkurrenzdenken, und laut werden. Alleine wird es niemand mehr schaffen. Und Kunst ohne Bezahlung müssen wir uns allen verbieten. Wir lassen uns nicht wegsparen. Jetzt erst recht nicht. Kunst und Kultur sind kein „Nice-to-have“, keine „Freiwillige Leistung“, sondern ein Beitrag zur Herzensbildung, zur Bildung und zu einem menschlicheren Miteinander.

Antragsstress

Und wieder endete die Antragsfrist für Projektanträge beim Kulturamt Mannheim am 31.3. Wieder haben wir viele Themen und Ideen, die uns auf den Nägeln brennen, für die Bühne entworfen, Summen kalkuliert, mit Formularen gekämpft (vor allem alle Apple-User). Die Zusammenarbeit und der Zusammenhalt waren wie immer richtig klasse! Danke an alle Kolleginnen und Kollegen!
All das allerdings dieses Mal mit dem entscheidenden Unterschied, dass wir wissen, dass wir nichts wissen, nicht wissen, ob wir noch relevant sind für die Stadt oder weggekürzt werden.
Sicher ist normalerweise immer, dass wir eine 50/50-Chance haben, dass die Anträge durchgehen oder eben nicht. Wenn nicht, muss man irgendwie Plan B in der Tasche haben und überlegen, wie es auch ohne dieses Projekt gehen könnte.

In dieser Projektrunde steht aber alles auf der Kippe. Können die Projektgelder überhaupt von der Stadt zur Verfügung gestellt werden oder geht die Kultur als “freiwillige Leistung” über die Klinge?

Für uns als “Freischaffende” bedeutet das schlimmstenfalls, dass wir unsere Selbständigkeit aufgeben müssen, Bürgergeld beantragen, aus der Künstlersozialkasse rausfliegen, weil wir anderen Tätigkeiten nachgehen müssen, und damit dann auch unsere ohnehin schon homöopathische Rente auf dem Spiel steht und wir deutlich mehr öffentliche Gelder brauchen, als wenn man uns das dünne Eis unserer projektbasierten Lebensgrundlage nicht entzieht.
Die Kultur ist kein Sparschwein. Genauso wenig ist das, was wir tun, entbehrlich. Ohne Kunst und Kultur wird es still, war ein viel zitierter Satz in der Pandemie. Der hat gerade jetzt wieder an Bedeutung gewonnen.